Samstag, 7. Februar 2009

Kein armes Haus

Während ich vor der Tür des Zimmers meiner Mutter auf und ab gehe, summe ich eine alte Melodie. Diese Melodie gehört zu einem traurigen Lied, das Marilla mir schon unzählige Male vorgesungen hat.
Es handelt von einer Frau, die durch tragische Umstände von ihrem Liebsten getrennt wird. Die Melodie ließ mich nicht mehr los, nachdem ich sie einmal gehört hatte.

"Ja?"
Mit diesem Wort holte meine Mutter mich in die Wirklichkeit zurück. Sie hatte endlich mein Klopfen beantwortet und ließ mich eintreten. Ich tat nur einen Schritt über die Schwelle, schloß die Tür hinter mir so leise es mir möglich war und blieb wie angewurzelt stehen.
Meine Mutter sah bereits wieder auf den vor ihr liegenden Brief herab. Sie hatte ihre Haare zu einem Knoten gebunden und hielt eine Schreibfeder in der rechten Hand.
"Mein Kind", sagte sie, ohne aufzublicken. Ich trat einen Schritt vor und wartete bis sie mich ansah. Dann machte ich einen Knicks.
"Mutter, ich habe einen Wunsch", sagte ich und versuchte dabei möglichst einen unterwürfigen Tonfall anzuschlagen.
"Das haben wir alle, mein Kind." Mittlerweile hatte sie ihren Kopf etwas gehoben und sah mich an. Ich beschloss nicht länger ihre Zeit zu verschwenden und platze mit meinem Anliegen direkt heraus.
"Ich hätte gern ein eigenes Pferd." Sie nickte nur. Vielleicht hielt sie es für kein besonderes Anliegen.
"Natürlich. Es soll uns schließlich niemand nachsagen können, wir wären ein armes Haus."
Damit war die Unterredung für das erste beendet.
Sie wandte sich wieder ihrem Brief zu und vermutlich nahm sie auch nicht mehr wahr, wie ich mit einem Lächeln die Tür hinter mir schloss.

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