Sonntag, 15. März 2009

Am Waldesweg

Zurück folgten wir dem Weg. Wir fielen in einen Trab, war dies bei langen Strecken doch die Art, wie man am schnellsten reisen konnte. Wir waren schon eine Weile unterwegs, als Mondlicht auf einmal ihre Schritte beschleunigte. Viel eher als ich nahm sie die Gestalt auf Namiria wahr, die uns entgegen kam.
„Deron!“ entgegnete ich, überrascht und gleichermaßen außer Atem.
Er schritt langsam an mir vorbei ohne mich anzusehen. Ich wendete mein Pferd und folgte ihm nun wieder in die Richtung, die ich ursprünglich angedacht hatte.
„Ich wusste, dass du dieses Mal nicht zurückgekehrt wärst.“
„Was?“
„Vela, ich kenne dich. Auch wenn wir fast nie sprechen. Ich kenne dich.“
Ich sagte nichts, aber er hatte Recht.
„Wie wolltest du denn eigentlich in deiner Robe hier im Wald allein überleben?“ Seine Stimme war nach dem ersten Schreck schon wieder neckend geworden. Mein ganzer Körper spannte sich an, als ich ihm antwortete.
„Ich hatte ja gar nicht geplant, allein zu reisen.“

Samstag, 14. März 2009

Der Ausritt

Ich erhielt keinen weiteren Magieunterricht. Meine Mutter sah es als Wink des Schicksals, dass ausgerechnet mein Lehrer starb. Und sie deutete es als nichts Gutes.
Als Frau von Stephan Tolnair hätte ich es sowieso nicht nötig, mich mit so etwas zu beschäftigen.
Ich raffte aus meinem Zimmer zwei Kleider zusammen, steckte sie in eine Tasche und stahl mich in die Küche. Dort verlangte ich nach zwei Schläuchen Wasser und etwas Brot.
Es fragte niemand warum.
Dann ging ich zu Mondlicht. Sie war mir eine treue Freundin.
Ich sattelte sie und hängte Tasche und Schläuche über das Sattelhorn. Ich führte sie aus dem Stall. Dann saß ich auf und wir ritten los. Ich sah nicht zurück.
Aus dem gemächlichen Schritt wurde ein lockerer Trab und schließlich ein gestreckter Galopp.
Ich schloss die Augen. Wenn man den Wind beim Reiten im Gesicht spürt, ist es, als würde man fliegen. Wir flogen über Wege, Wiesen und durch Wälder. Dann hielten wir an.
Mondlicht schnaubte. Dann drehte sie sich um.
Ich hatte etwas vergessen.

Freitag, 13. März 2009

Stillstand

Es war in so kurzer Zeit so viel geschehen, dass ich eine Weile stillstehen musste, um das alles zu verstehen. Ich fühlte mich wirklich wie gelähmt.
Mein Vater starb, ich hatte Kriege erlebt, ich war zu früh erwachsen geworden.
Ich hatte Magie in mir. Ich hatte einen Lehrer und ich hatte ihn verloren.
Ich sollte die Frau von Stephan Tolnair werden.
Meine Welt stand still. Wenn ich mich nun gar nicht bewegte, vielleicht, vielleicht ....
Vielleicht würden sich dann die anderen auch nicht bewegen?
Vielleicht würden dann alle zu Stein. Und nur ein Zauber könnte sie erwecken.
Vielleicht, vielleicht ...

Marilla packte mich an den Schultern und schüttelte mich. Mein Blick wollte Kerntans Augen nicht loslassen. Aber schließlich rüttelte Marilla mich wach.
Ab jetzt würde alles anders werden.

Dienstag, 10. März 2009

Normalerweise

Mit einem Arm voll Büchern und meiner Tasche stand ich vor der Tür zu Kerntans Haus. Normalerweise empfing er Marilla und mich bereits immer in der Türschwelle.
Marilla klopfte. Wir warteten. Wir warteten lange.
Ich schritt unruhig vor der Tür auf und ab, während Marilla versuchte etwas durch die Fenster zu erkennen.
Ich legte meine rechte Handfläche auf die Tür und übte leichten Druck auf das Holz aus. Dann schloss ich die Augen und murmelte eine Formel. Meine Hand wurde heiß und kurze Zeit später erschuf ich einen kleinen Feuerball, den ich auf die Tür schleuderte.
Marilla sah mich entsetzt an. „Kind, du kannst doch nicht …“
„Er hat noch nie einen unserer Termine verpasst,“ war jedoch alles was ich ihr antwortete. Ich schätze sie bestätigte insgeheim meinen Verdacht.
Nachdem sich ein kleines Loch in das Holz gebrannt hatte, ließ ich das Feuer versiegen.
Ich steckte meine Hand durch das Loch und öffnete so die Tür von innen.
Marilla und ich sahen ihn ungefähr gleichzeitig am Boden liegen. Seine Augen waren vor Schreck geweitet.
Er musste etwas grauenhaftes gesehen haben, bevor er starb.

Montag, 9. März 2009

Tag und Nacht

Tagsüber vergrub ich mich unter meinen Büchern, die ich von Kerntan erhalten hatte.
Ich beherrschte bereits die Grundkenntnisse etlicher Feuerzauber. Der Weg zum Eis blieb mir jedoch völlig verschlossen. Kerntan meinte einmal, dass es wohl an meinem feurigen Temperament liegen würde. Damals hatten wir beide darüber gelacht. Heute bin ich mir nicht mehr so sicher.
In der Dämmerung stahl ich mich oft allein aus dem Haus. Ich ging in den Stall, sattelte Mondlicht und ritt mit ihr durch die Wälder Lordaerons. Allein.
Ich fühlte mich in gesellschaftlichen Zwängen gefangen und fand keinen Ausweg.
So sehr ich auch versuchte mich auf das Gefühl einzulassen, dass ich auf Mondlichts Rücken so liebte, begleitete mich oft der Schatten meiner düsteren Gedanken.
Wenn ich heimkehrte wartete Deron bereits auf uns, wenigstens darauf konnte ich mich verlassen.

Sonntag, 8. März 2009

Im Leben nicht

Ich hatte Stephan Tolnair aus meinem Gedächtnis gestrichen. Vermutlich geschah dies in dem Moment, in dem ich ihm zum letzten Mal den Rücken kehrte.
Das es diesen Menschen überhaupt gab, fiel mir erst wieder ein, nachdem meine Mutter seinen Namen nannte.
Wir aßen zusammen zu Mittag, als sie mit einem beinahe schon unheimlichen, freudigen Gesichtsausdruck seinen Namen nannte.
Sie nannte ihn ummantelt von einem Satz, der mich damals ziemlich verstörte.
„Die Tolnairs und ich sind überein gekommen, dass ihr ein ganz reizendes Brautpaar abgeben würdet. Meinst du nicht?“
Ich meinte gar nichts. Ich spuckte stattdessen ein Stück Fleisch zurück auf den Teller, was meine Mutter angesichts des bevorstehenden freudigen Ereignisses jedoch nur mit einer gehobenen Augenbraue bedachte.
In dem Moment wusste ich vermutlich gar nichts mehr. Nur eines stand fest:
Ich würde nie im Leben die Frau von Stephan Tolnair werden.

Samstag, 7. März 2009

Mondlicht

Mondlicht nannte ich meine schwarze Stute, nachdem Deron ihr den Namen gab.
Er bemerkte eines Abends wie nebenbei, dass mir das Pferd im Mondlicht ganz besonders gut stehen würde. Er sagte es ganz so, wie andere über Roben reden würden. Ich weiß nicht, ob er sich überhaupt etwas dabei dachte, aber mir ging das Wort "Mondlicht" einfach nicht mehr aus dem Kopf und so bekam das Tier seinen Namen.

Mutter gestattete mir nur selten allein einen Ausritt und so kam es, dass Deron mich hin und wieder auf Namiria begleitete. Marilla folgte uns in einigem Abstand, doch bald gab sie es auf und wartete einfach in der Nähe des Hauses auf unsere Rückkehr.

Sie vertraute mir. Vermutlich hätte sie nie geglaubt, dass ich ihr Vertrauen irgendwann missbrauchen könnte.
Heute tut es mir leid.